Du hast die Wahl!
Drei Tage vor
der Wahl trafen sich Demokrat:innen wieder im
FELSENKELLER, Akazienstraße 2, Berlin-Schöneberg
um sich an unserem Stammtisch auszutauschen. Also drei Tage vor der Bundestagswahl 2025, die wie keine andere Wahl zuvor die Gemüter bewegt und Besorgnis auslöst. Warum? Es sind nicht nur die Extremisten, sondern vor allem die Konservativen, die den Menschen Sorgen bereiten.
Merzens Wortbruch – ein historischer Tabubruch
Friedrich Merz hatte noch im November im Bundestag vor Zufallsmehrheiten nach dem Ampel-Ende gewarnt. Er kündigte damals an, er wolle nur Anträge einbringen, für die es keine Mehrheit mit der AfD gebe, »sodass weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen hier im Haus in der Sache auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da zustande kommt.« Er zeigte auf die AfD-Abgeordneten. Doch der Bundestag hat am 29. Januar nach einer heftig geführten Debatte einem Antrag von CDU und CSU zugestimmt, der eine drastische Verschärfung der Asylpolitik fordert. Und zwar mit den Stimmen der AfD.
Ein Wortbruch von Merz und ein Tabubruch, vor dem viele gewarnt haben, wie auch der SPIEGEL schreibt:
„Erstmals hat eine der demokratischen Fraktionen die Unterstützung der extremen Rechten im Parlament bewusst in Kauf genommen. Es ist zwar CDU-Chef Friedrich Merz persönlich abzunehmen, dass er die AfD bekämpfen will, dass er die vier Jahre seiner möglichen Kanzlerschaft nutzen möchte, um das Szenario einer AfD-Regierungsübernahme 2029 zu verhindern.
Allerdings: Die Inkaufnahme der AfD-Stimmen im Bundestag, um eine Mehrheit zu erreichen, ist ein Tabubruch, der bleiben wird. Und womöglich hat dieser Tabubruch Merz’ Kampf gegen die AfD nun nachhaltig beschädigt. Denn Merz hat an diesem 29. Januar – ausgerechnet direkt nach einer parlamentarischen Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus – sein eigenes Ziel sabotiert und die bislang von ihm verteidigte Brandmauer gegen die AfD geschleift. Das wird Folgen haben.
Fortan werden all jene in CDU und CSU, die in den Kommunen und Ländern Mehrheiten mit der AfD sehen und nutzen wollen, auf Merz selbst verweisen. Der hat seiner Glaubwürdigkeit und vor allem seiner internen Durchsetzungsfähigkeit im Kampf gegen Rechtsaußen heute schweren Schaden zugefügt.“
Warum ist der Kampf gegen Rechtsaußen so wichtig und eigentlich Pflicht aller Demokrat:innen?
Weil es fatal endet, wenn man Rechtsextreme „einfach machen“ und „sich selbst entzaubern“ lässt. Was das für Minderheiten, Menschen mit Behinderungen, Menschen mit eingeschränktem Zugang zu Rechtssystemen, aber auch für Frauen, Alte, Kranke (keine Minderheiten!) bedeutet, können wir mit Gruseln derzeit in den USA beobachten. Donald Trump und sein Buddy Elon Musk, der reichste Mann der Welt, schleifen derzeit alles, was auch nur sozial aussieht oder aussehen könnte und werfen damit alle, die nicht weiß, männlich, heterosexuell, mittelalt, angeblich christlich, und vor allem reich sind, vor den Bus. Die „Säuberung“ des Staates von Andersdenkenden ist in vollem Gange. Mit anderen Worten: Wir sehen im Land der ältesten Demokratie gerade einen Staatsstreich von oben. Wer mehr dazu lesen will, dem sei die Historikerin Annika Brockschmidt ans Herz gelegt. Hier ein Interview mit ihr im Deutschlandfunk.
Auch das „inhaltlich stellen“ funktioniert nicht. Die Einladungen von Alice Weidel und anderen Vertretern der AfD in sämtliche Talkshow-Formate im Deutschen Fernsehen haben das deutlich gemacht. Selbst wenn man mal den seltenen Fall erlebte, in denen die Rechtsextremen live der Lüge überführt wurden (meist erst hinterher, aber wir wissen ja, dass die meisten Menschen keine Faktenchecks lesen), hatte das keine Auswirkungen auf ihre Anhängerschaft. Die Frage, warum das so ist, bewegte auch uns am Stammtisch stark.
Die Antwort ist so einfach wie überzeugend: Weil es gar nicht um Fakten geht. Es geht um Aufmerksamkeit und um Emotionen.
Die Emotionen, die hier bedient und gepflegt werden, sind die des Hasses, des Neides (nach unten), der Missgunst und der Verachtung. Und sie werden gefüttert durch Wiederholung. An allem sind „die Ausländer“ oder wahlweise „die Grünen/ die Linken/ die Bürgergeldempfänger“ Schuld. Das ist so herrlich einfach, dass man anschließend wieder in Ruhe „Dschungelcamp“ schauen und alle tatsächlichen Probleme, wie z.B. die Klimakrise und ihre Folgen für uns alle, verdrängen kann.
Dazu kommt das stets unterschätzte Ziel der Rechten: Aufmerksamkeit, um eben die Wiederholung ihrer emotionalen Botschaften, effektiv platzieren zu können. Die Tatsache, dass diese Vertreter der Menschenverachtung in Talkshows gefragt und behandelt wurden, als seien sie normale Vertreter einer gerechtfertigten Meinung innerhalb des demokratischen Diskurses, haben genau das bewirkt: Sie haben sie normalisiert – schlimmer noch: Sie haben die ihnen Aufmerksamkeit gewidmet und damit ihren Algorithmus gefüttert, also zu ihrer Verbreitung beigetragen. Zusammen mit der Erkenntnis, dass die Tech Oligarchen, die derzeit all unsere relevanten Social Media Plattformen besitzen und bekanntermaßen mit ihren Algorithmen nicht nur immer mehr desselben belohnen, also die Polarisierung praktisch programmiert haben, sondern auch gezielt rechte Inhalte bevorzugen, progressive benachteiligen, Faktenchecks abgeschafft haben, sich weigern europäische Gesetze zu beachten, und uns dafür auch noch mit unseren Daten bezahlen lassen, ergibt sich daraus das Fazit, dass wir schnellstens Alternativen schaffen, uns anders vernetzen und ins demokratische Handeln kommen müssen.
Um mit Timothy Snyder zu sprechen: Wir müssen unsere Körper einsetzen, wenn wir unsere Freiheit erhalten wollen.
Genau das haben
hunderttausende Demonstrierenden aller Altersstufen, aller Berufe, aller
Gesundheitszustände, aller Herkünfte, aller gesellschaftlichen Gruppen getan,
als sie sich in der eisigen Januar-Kälte vor Merzens CDU-Zentrale gestellt und
ihm zugerufen haben, dass er sich schämen soll für seinen Fehler. Und nicht nur
dort. In ganz Deutschland sind Menschenmassen durch ihre Empörung auf die
Straße getrieben worden und werden es weiterhin.
Jetzt, zwei Tage nach dem Demokratiestammtisch, einen Tag vor der Wahl, werden all diese Menschen von Merz als „linke Spinner“ diffamiert, die „nicht alle Tassen im Schrank haben“. Und gefragt, wo sie waren, als Walter Lübcke ermordet wurde. Hier die ganze Wahlkampfabschlussrede inklusive Gejohle der CDU/CSU-Anhänger.
Das ist bodenlos.
Zur Erinnerung:
Zehntausende haben demonstriert, nachdem ein Rechtsextremer AfD-Anhänger Walter
Lübcke aus nächster Nähe auf seiner Terrasse erschossen hat, während Merz 17
Tage lang geschwiegen hat, bevor er den Mord auch noch instrumentalisierte und für
Merkel-Bashing nutzte.
Die Fassungslosigkeit, das Entsetzen, die Wut, die man als Demokrat:in angesichts einer solchen Entgleisung fühlt, ist allerdings genau das, was wiederum Treibstoff für die Emotionen der Rechten ist.
Wir oben erwähnt geht es nämlich nicht um Fakten.
Menschen, die „einen Führer“ wollen und einen autoritären Basta-Stil ohne demokratische Diskussion wollen, Menschen, die Regieren per Dekret für effektiv halten, weil man dann nicht auf so viele andere hören muss, die freuen sich, wenn wir Demokrat:innen ausrasten. Wenn unsere Hilflosigkeit und unser in-die-Ecke-gedrängt-Sein uns wütend macht und damit endlich zu erhofften Straftaten führt, die man dann so schön in die Extremismus-Schublade schieben kann.
Tun wir ihnen nicht den Gefallen. Bleiben wir widerständig, unbequem, kritisch, aber auch zivilisiert, offen, humorvoll und voller Solidarität. Gemeinwohl und Solidarität sind unbekannte oder leere Worte bei ihnen. Dass Menschen sich helfen FREIWILLIG und ohne dafür bezahlt worden zu sein und dass das auch noch funktioniert, damit rechnet niemand bei den Rechten.
Nächstes Treffen: 20.03.2025, 19:30 Uhr im Felsenkeller, Akazienstraße 2, Berlin-Schöneberg
Wir freuen uns
auf Euch!
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