Männlichkeit und Demokratie

Zum zweiten Mal trafen wir uns am 18.04.2024 in der gemütlichen Nische des Naumann Drei zum Demokratie-Stammtisch. Ein paar Teilnehmer:innen waren schon beim Gründungsstammtisch im März dabei gewesen, ein paar waren das erste Mal dabei. Die Runde war insgesamt auf acht höchst unterschiedliche Menschen aus Schöneberg angewachsen.

Wie beim letzten Mal ging es sofort nach einer Kennenlernrunde und der ersten Getränkebestellung direkt ins Thema. Dieses Mal beschäftigte uns vor allem die Frage: Wie vermittelt man Demokratie und warum sollten wir dabei vor allem junge Männer und Jungs in den Fokus nehmen?

Hintergrund der Diskussion war eine aktuelle Studie zu politischen Einstellungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die zeigt, dass die Jungs derzeit zwar weltweit aber eben auch in Deutschland immer konservativer werden und die Mädchen immer progressiver. (ein Artikel dazu z.B. hier: Gender-Gap: Werden junge Frauen linker und Männer rechter? - ZDFheute)



Mit einer Lehrerin, einer Lehramtsstudentin und einem pensionierten Kripobeamten am Tisch, der inzwischen in der Ausbildung junger Erwachsener im Bereich Sicherheitspersonal tätig ist, aber auch mit den Erfahrungen, die als Mütter, Kinder, Freunde und Bekannte von allen eingebracht wurden, diskutierte die Runde die Ergebnisse der Studie anhand der eigenen Erfahrungen und Beobachtungen. Dadurch bekamen wir alle teilweise überraschende Einblicke in Lebenswelten, die uns fremd waren – allein das war schon eine bereichernde Erfahrung. Allerdings mussten wir auch feststellen, dass sich die anekdotischen Erlebnisse unserer Runde aus den unterschiedlichsten Bereichen in großem Umfang mit den statistischen Ergebnissen der Studie decken. Der – ebenfalls in Studien belegte – große Unterschied zwischen Stadt- und Landbevölkerung kam dabei ebenso zur Sprache wie der Zusammenhang zwischen rechten bis rechtsextremen Einstellungen und der Ablehnung aller Errungenschaften zur Gleichstellung der Geschlechter, Minderheiten und anderer Benachteiligter. Antifeminismus, die Ablehnung der LGBTQ+ Bewegungen, Rassismus, Judenhass, Ableismus, das alles speist sich aus diesen Einstellungen.

Letztlich geht es um die Angst, an Macht und Privilegien einzubüßen, wenn andere „plötzlich“ nicht nur berücksichtigt werden, sondern mitbestimmen wollen und auch mitbestimmen dürfen, und um eine ziemlich toxische Vorstellung der eigenen Männlichkeit, die man durch all den „modernen Kram“ ja sogar durch ein simples „sich Mühe geben“ bedroht sieht. Die geradezu absurd hysterische Diskussion um das Gendern steht symptomatisch für diese Ablehnung der Moderne und progressiver Politik. Die Angst vor Bedeutungsverlust zeigt sich aber auch z.B. darin, dass selbst junge Männer, die nicht mehr pubertär sind, bei Lehrveranstaltungen, die ihnen nachweislich nützlich sind in ihrem eigenen Leben, weil sie damit einen Berufsabschluss erwerben, das Zuhören oder Mitmachen verweigern, um nicht als „Streber“ weiblich konnotiert zu werden. Dass sie sich dabei selbst schaden, scheint weniger entscheidend zu sein, als die Vorstellung „cool“, also „männlich“ bleiben zu müssen.


Die entscheidende Frage, die sich aus dieser Diskussion grundsätzlich ergibt, lag denn auch schnell auf unserem runden Tisch: Wenn die Studienergebnisse und der eigene Alltag die Diagnose bestätigen, dass wir nicht nur mit den sprichwörtlichen „alten weißen Männern“, sondern in erheblichem Ausmaß mit der nächsten männlichen Generation ein Problem haben, wie schaffen wir es dann, ihnen Demokratie wieder schmackhaft zu machen und sie dafür zu gewinnen?


Wir wären kein Demokratiestammtisch, wenn es uns nur darum gegangen wäre, uns gegenseitig unsere Fassungslosigkeit zu erzählen. Es stellten sich gleich auch viele Ideen ein. Eine davon war es: Demokratie attraktiver zu machen. Feste, Märkte, Bürgerbeteiligung, Demokratie üben von klein auf und natürlich auch Demokratiestammtische. All das gehört zu den vielen kleinen Schritten, die getan werden müssen, um im Großen was zu erreichen. Dementsprechend war auch ein Thema, dass sich im Juni unser erster Ableger in Friedenau bildet. Wir hoffen noch auf viel mehr! Nachmachen ist hier ausdrücklich erwünscht!


Schließlich müssen wir zusammenhalten, wir Demokrat:innen. Niemand schafft es alleine. Deswegen war ein weiteres Thema, wie wir die demokratischen Parteien dazu bringen mitzumachen. Einigen scheint die Brisanz der Lage trotz aller Correctiv-Recherchen und auch trotz der Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus immer noch nicht klar zu sein.
Dazu passte der Satz, mit dem sich der ehemalige Kripobeamte später verabschiedete: Er sei hier zu einem Demokratie-Stammtisch gekommen, aber niemand aus den Parteien mit „Demokratie“ im Namen sei da.


Daher laden wir ALLE, die sich um die Demokratie sorgen ein, sich auch für sie einzusetzen. Ein Austausch am Stammtisch ist dabei ein guter erster Schritt.


Nächster Termin: 16. Mai 2024, 19:30 im Naumann Drei in Schöneberg.

Kommentare

  1. Eine weitere Dimension dieser Diskussion macht der SPIEGEL Kolumnist, promovierte Psychologe und Prof. für Digitale Kommunikation an der FH Hamburg, Christian Stöcker, auf. Er identifiziert die "Petromaskulinität" als besondere Form der toxischen Männlichkeit als Hauptursache für unsere Probleme mit Klimakrisenleugnern und Klimaschutzverhinderern. Sein Buch "Männer, die die Welt verbrennen" ist unbedingt empfehlenswert. Hier ein Interview mit ihm: https://www.msn.com/de-de/finanzen/top-stories/m%C3%A4nner-und-das-klima-dieser-stolz-l%C3%A4rm-zu-machen-und-den-planeten-zu-zerst%C3%B6ren/ar-AA1njeC6

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