EUROPAWAHL-NACHWEHEN

Bei sommerlichen Temperaturen tut es gut, erfrischende Getränke zu sich zu nehmen. Beim Ausgang der Europawahlen tut es gut, die Ergebnisse gemeinsam zu verdauen. Genau das war das Thema unseres Juni-Stammtischs, das von den 6 höchst unterschiedliche Personen, davon 3 neue Stammtisch-Besucher:innen und ein Gast von außerhalb, engagiert diskutiert wurde.

Hier die europäischen Wahlergebnisse: Startseite | Ergebnisse der Europawahl 2024 | Europäische Union | Europäisches Parlament


Und so hat Deutschland gewählt: Ergebnisse Deutschland - Die Bundeswahlleiterin

Fakt ist: Die CDU bleibt nach wie vor mit 23 Sitzen im EU-Parlament (und wertet das schon als Sieg), auch die FDP ist mit 5 Sitzen unverändert vertreten (was aus ihrer Sicht sicher ein Triumph ist), die SPD hat 2 Sitze verloren, ebenso die Linken, überholt von der abgespaltenen BSW von Sahra Wagenknecht, die aus dem Stand 6 Sitze geholt hat. Die Grünen dagegen haben von ihren vorher 21 Sitzen sogar 9 Sitze eingebüßt. Dafür hat die AfD 4 Sitze gewonnen. Jetzt sitzen also nur noch 12 Grüne, aber dafür 15 AfD Abgeordneten im EU-Parlament. Diese wiederum sind so rechtsextrem, dass selbst die ultrarechte EU-Fraktion „Identität und Demokratie“ um Marine Le Pen und Meloni sie ausgeschlossen hat, weil der ursprüngliche EU-Kandidat der AfD, Maximilian Krah, in einem Interview die Verbrechen der SS relativiert hatte. Das war den anderen Nationalisten, die ihre Erzählung von Nationalstolz oft mit dem Widerstand gegen Nazideutschland unterfüttern, dann doch zu viel.

Fakt ist auch: Nazi-Sprache, offener Hass auf Andersdenkende, Migrant:innen und überhaupt alle von der eigenen Parteilinie abweichende Menschen inklusive Deportationspläne, Affairen wie die Tatsache, dass Maximilian Krah einen chinesischen Spion beschäftigt hat, Skandale wie das Moskauer Schmiergeld, das bei Piotr Bystron gefunden wurde u.dgl.m. scheinen den Rechtsextremen nichts anzuhaben. Schon gar nicht bei den jungen Wähler:innen, wie wir alle entsetzt feststellten.

Zum ersten Mal durften 2024 16-Jährige das EU-Parlament mitwählen und wen wählen die jungen Leute? Hauptsächlich Kleinstparteien (28%), mit 17% die Union und mit 16% die AfD, die damit auf dem dritten Platz bei den Jugendlichen liegt! Die Grünen werden nur noch von 11% der jungen Menschen gewählt, die SPD nur noch von 9%! Junge Menschen wählen anders | tagesschau.de

Diese Wahlergebnisse korrigieren das bislang so gern kolportierte Vorurteil, dass vor allem Boomer und noch ältere Leute am Aufschwung der Rechten beteiligt sind.

Ist das „nur“ TikTok und die inzwischen gut recherchierten Kampagnen gegen alles Grüne? Klima-Verzögerungstaktik: Was Springer, Schäffler, Spahn und Wagenknecht gemeinsam haben - DER SPIEGEL Ist das ein Bildungsproblem? Haben die jungen Leute, abgesehen von den Aktivisti von Fridays For Future die Klimakrise so gründlich verdrängt, obwohl sie sie ungleich härter treffen wird als Menschen, die schätzungsweise 2040 oder 2050 bereits nicht mehr miterleben werden? Machen sie die Verdrängungstechniken der Erwachsenen nach, weil das Problem so riesig und unbewältigbar scheint, und weil Party, überhaupt Ablenkung, das Ego und der eigene Hormonhaushalt wichtiger sind als die Frage, ob die Erde in 10, 20, 30, 100 Jahren noch bewohnbar sein wird für Menschen? Und vor allem: Was ist dagegen zu tun? Das waren die Fragen, die unserer Stammtisch-Runde unter den Nägeln brannten und heiß diskutiert wurden.

Einig waren wir uns dabei vor allem, dass die Grünen, SPD, Linken schlecht beraten wären, würden sie der rechten Rhetorik und damit dem Ruf nach Abschottung, Abschiebung, Sanktionierung von Armen etc. nachlaufen. Im Gegenteil. Langfristig kann es nur erfolgreich sein, diesem Trend zur Menschenfeindlichkeit mutig und deutlich entgegenzutreten.

Dem entsprechen die Zahlen. Die Grünen haben bei ihrer Stammwählerschaft verloren, weil sie nicht konsequent genug Klimaschutz machen, sich auf zu viele Kompromisse einlassen (müssen in dieser Koalition) und vor allem die soziale Komponente vernachlässigen. Europawahl 2024: Grüne aus Wählersicht | tagesschau.de Das Klimageld wäre hier ein zentraler Hebel.

Abgesehen davon müssen die Grünen besser kommunizieren. Klarer, einfacher, zugänglicher. Eine schwierige Aufgabe, wenn die andere Seite bei allen komplexen Problemen brüllt „Die Ausländer waren es“ oder „Die Grünen sind schuld“, aber eine, an der sich entscheidet, ob progressive Politik Mehrheiten gewinnt.

Kurz: Für Menschen, die sich für Klimaschutz, Demokratie, Menschenrechte einsetzen, wird es derzeit nicht leichter. Umso wichtiger ist es zu erleben, dass wir zusammenhalten. Auch dabei hilft ein Demokratiestammtisch.

Nächster Termin: 18. Juli 2024, 19:30 im Naumann Drei in Schöneberg.

Kommentare

Beliebte Posts