STAMMTISCH UND AKTIVISMUS

 

Das „Naumann Drei“ schließt. Am 31. Juli ist Schluss mit der gemütlichen Schöneberger Kneipe. Das ist sehr schade. Aber das ist nicht das Ende des Demokratiestammtischs. Das bedeutet nur, dass wir uns möglicherweise vorübergehend, möglicherweise dauerhaft ein neues Zuhause für unseren „Wohlfühlort für Demokrat:innen“ suchen müssen.

Wo wir uns das nächste Mal treffen, werden wir hier bekanntgeben.


Räume – tatsächlich physisch vorhandene und Handlungsspielräume – waren dieses Mal denn auch das prägende Thema des Abends.


Wolfgang – ein Aktivist aus dem Umkreis des Bündnis Steglitz-Zehlendorf weltoffen bzw. Tempelhof-Schöneberg weltoffen – berichtete von seinen Erfahrungen. Thema war unter anderem die Demo in Lichterfelde Ost (Rechtsextremer hält „Remigrations“-Vortrag: Hunderte demonstrieren gegen Auftritt von Martin Sellner in Berlin (tagesspiegel.de) vor dem „Staatsreparatur“ genannten Büro von Andreas Wild, der sogar der AfD zu radikal rechts war, dort rausgeschmissen wurde und deshalb auch kein Problem hatte, den österreichischen Rechtsextremen Martin Sellner zu einem Vortrag zu laden. Ja, das ist der, der auch schon auf dem Potsdamer Treffen von Rechtsextremen gesprochen hat, das das Recherchebündnis Correctiv aufgedeckt hat.  Hier nochmal alle Hintergründe: Geheimplan-Recherche - correctiv.org


Außerdem erzählte Wolfgang, wie und warum er immer noch gegen die Querdenker demonstriert und vor der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg ebenso wie vor der Apostel-Paulus-Kirche in Schöneberg Flagge zeigt, wenn diese Leute dort Montag für Montag ihre menschenfeindlichen Verschwörungserzählungen in die Welt tragen. Zwar sind die Versammlungen der Verschwörungsfanatiker nicht mehr so groß wie während der Pandemie oder kurz danach, als der Gegenprotest dann auch lauter wurde: Protest in Prenzlauer Berg: Anwohner wehren sich gegen Vereinnahmung der Gethsemanekirche | rbb24, aber es gibt sie noch und dass sie neben krudem Unsinn nach wie vor gegen Parteien, gegen „das System“, gegen den öffentlich rechtlichen Rundfunk und überhaupt gegen alle Demokrat:innen agitieren, ist nicht zu übersehen. Es gilt also wachsam zu bleiben und aktiv zu werden.


Dasselbe gilt für die mit der AfD in vielerlei Formen eine Querfront bildende neue Partei von Sahra Wagenknecht. Der hinter den Worten „Bündnis SW für Vernunft und Gerechtigkeit“ versteckte Irrsinn ist ja, dass es hier nur um Gerechtigkeit für weiße Deutsche geht, nicht Gerechtigkeit für alle, also zu Ende gedacht, für niemanden. Auch „Vernunft“ ist in dem Parteinamen nur eine Behauptung, denn es ist nicht vernünftig, sowohl Putins Angriff hinzunehmen und so das Recht des Stärkeren wieder in Europa gewähren zu lassen, und es ist auch nicht vernünftig, die Klimakrise mit alle ihren Folgen zu ignorieren, Hauptsache der deutsche Bürger muss nichts ändern und nicht zahlen.


Aber wie ändert man sich und sein Umfeld? Wolfram, ein anderer Stammtisch-Teilnehmer, atmete tief aus und seufzte, dass er gerade sehr erschlagen sei von Wolfgangs Aktivismus und von dem, was er und auch andere in der Runde alles erzählten. In seinem Bekanntenkreis, stellte Wolfram fest, seien gerade viele Menschen einfach nur noch genervt von Politik oder hätten gar keine Haltung zu irgendwas. Ein diffuses Gefühl von Hilflosigkeit (was kann ich schon ausrichten?) mische sich da mit Politikverdrossenheit (die da oben machen eh, was sie wollen) und Bequemlichkeit (es wird schon nicht so schlimm werden, wie uns gerade erzählt wird).


Der Schlüssel liegt wohl darin, dass einige Dinge sich anhäufen, so z.B. die Unzufriedenheit über einen bestimmten Zustand im Kiez, den man täglich registriert, bis ein kleines Ding passiert, das das Fass zum überlaufen bringt und dann hat man zwei Möglichkeiten: Man nimmt den Zustand hin, über den man sich ärgert, jammert, klagt, meckert, oder man wird aktiv.


So war das auch bei der Initiatorin der Gegenproteste gegen die Tempelhofer-Damm-Schwurbler. Sie hatte sich einmal zu viel geärgert, als sie täglich an deren hetzerischen Plakaten vorbeiradeln musste. Dann meldete sie – zum ersten Mal in ihrem Leben – eine Gegendemo an, vernetzte sich, hat neue Freunde und Gleichgesinnte gefunden, die die aggressiven menschenfeindlichen Verschwörungserzähler ebenfalls nicht einfach so hinnehmen wollen und ist inzwischen eine feste Größe in der politisch aktiven Zivilgemeinschaft.


So war das auch bei Wolfgang, der schilderte, dass es in seinem Kiez ein queeres Wohnprojekt mit angeschlossener Kita gibt und dass er neulich da einfach mal reingegangen ist, um zu fragen, wie es ihnen geht. Die Leute dort erzählten, dass es immer wieder vorkomme, dass Leute reinkämen, um sie zu beschimpfen, ein älterer Mann sei neulich vorbeigeradelt und habe ein Ei an die Fensterscheibe geschmissen, ein anderer kam rein und hätte eine Mitarbeiterin angespuckt, auch Drohanrufe und diffamierende Emails bekämen sie sehr häufig. Wolfgangs Idee: nach dem Vorbild einer Antifa-Telefonkette aus den 80ern eine Signalgruppe oder etwas Vergleichbareres zu gründen, bei denen man Anwohner:innen kurz informieren und mobilisieren könne, schnell Solidarität zu zeigen, wenn solchen exponierten queeren, linken oder ökologisch engagierten Projekten Gefahr drohe. „Es geht doch nicht“, regte er sich auf, „dass Menschen bedroht werden – nicht irgendwo weit weg, sondern hier bei uns im Kiez, vor unserer Nase und wir bekommen das nicht mit und machen nichts!“ Ein guter Handlungsimpuls, wie wir alle finden.


Die nächste Möglichkeit, selbst aktiv zu werden ist übrigens der 3. August:

Am 3.8. kommt Querdenkengründer Ballweg mit einer Querdenken-Grossdemo nach Berlin. Die Demo führt von der City West über Wittenberg- und Nollendorfplatz bis in den Tiergarten. „Berlin gegen Nazis“ hat bereits einen tollen Überblick-Artikel hierzu verfasst: Protest gegen "Querdenken"-Jahrestag - Berlin gegen Nazis (berlin-gegen-nazis.de). Es sind - Stand jetzt - bereits Gegendemos am Wittenbergplatz und im Regierungsviertel angemeldet. Eine Sammeldemo startet am Lützowplatz bzw auf der Herkulesbrücke und begleitet ab dort die QD-Demo. 

Wolfgang und alle anderen Demokratiestammtisch-Teilnehmer:innen freuen sich, wenn Ihr auch dabei seid.


Und das alles auch mal einfach loszuwerden, davon zu erzählen und sich auch von dem ein oder anderen aktivistischen Feuer anstecken zu lassen, tut außerdem gut.


Nächster Termin und Ort zum demokratischen Auftanken und Zusammensein: Wird hier bekannt gegeben!

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